Neues zur nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche
Besprechung von OVG Hamburg, Beschluss vom 25.06.2019 – 2 Bs 100/19:
Im Anschluss an das
Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 09.08.2018
– 4 C 7.17 „Wannsee“- siehe den Aufsatz unter Wissenswertes vom
10.01.2019) hat erneut ein Verwaltungsgericht entschieden, dass Festsetzungen
zur überbaubaren Grundstücksfläche ebenso wie Festsetzungen zum Maß der
baulichen Nutzung neben ihrer städtebaulichen Ordnungsfunktion ausnahmsweise
auch dem Schutz des Nachbarn dienen können.
Voraussetzung hierfür ist, dass der Plangeber die Planbetroffenen mit diesen Festsetzungen in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden wollte.
In dem vom OVG Hamburg entschiedenen Fall ging es um ein Baugrundstück am Elbhang in Hamburg-Blankenese.
Der Bebauungsplan vom 12.06.2012 setzte Baugrenzen fest. Das von dem Bauherrn geplante Bauvorhaben überschritt die Baugrenze in südöstlicher Richtung zum Nachbarn hin um 4,50 Meter.
Hiergegen hat der Nachbar einen Eilantrag gestellt und vor dem OVG Hamburg insoweit Recht bekommen.
Das OVG Hamburg hat sich bei seiner Begründung im wesentlichen an das Wannsee-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018 angelehnt.
Dem Bebauungsplan war nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass den Baugrenzen drittschützende Wirkung zukommen soll.
Diese drittschützende Wirkung hat das OVG Hamburg nach Vornahme einer Auslegung aus der Gesamtkonzeption des Bebauungsplans abgeleitet. Hier sollte mit der Planung die unverwechselbare Eigenart des Blakeneser Elbhangs erhalten werden. Aufgrund der besonderen topografischen Lage und der sehr heterogenen Bebauung ist das OVG Hamburg zu dem Ergebnis gelangt, dass auch die Festsetzungen bezüglich der Baugrenzen dergestalt in das Plankonzept eingebunden waren, dass sie eine vom Bestand abweichende Stellung und Ausdehnung baulicher Anlagen verhindern sollten. Damit trägt diese Festsetzung zur Erhaltung des besonderen Gebietscharakters bei und begründet damit zugleich ein wechselseitiges Austauschverhältnis zwischen allen Grundeigentümern im Plangebiet.
Es stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen man Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche in ähnlichen Fällen eine drittschützende Wirkung beimessen kann.
Auf den ersten Blick handelt es sich bei den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018 und dem OVG Hamburg vom 25.06.2019 um besonders gelagerte Ausnahmefälle, da Bebauungspläne in besonders „hochwertigen“ Plangebieten betroffen waren (Wannsee, Blankenese – Elbhang).
Die Ausführungen des OVG Hamburg können aber durchaus auch auf andere Plangebiete übertragen werden. Es fragt sich allerdings, wann im einzelnen angenommen werden kann, dass eine bestimmte – grundsätzlich nicht nachbarschützende – Festsetzung derart in das Gesamtkonzept des Bebauungsplans eingebunden ist, dass hierdurch ein besonderer Gebietscharakter erhalten werden soll und damit ein wechselseitiges Austauschverhältnis zwischen allen Grundeigentümern im Plangebiet begründet wird.
Die Grenzen sind hier sicher fließend.
Das Argument des Bauherrn, der Bebauungsplan stamme aus dem Jahr 2012, zu diesem Zeitpunkt seien die Grundsätze zum Nachbarschutz bekannt gewesen, sodass aus dem Schweigen des Bebauungsplans gefolgert werden müsse, dass die Stadt Hamburg den Festsetzungen keine nachbarschützende Wirkung beimessen wollte, war zum Scheitern verurteilt: denn dies hätte impliziert, dass dem Schweigen des Plangebers ein bestimmter Erklärungsinhalt beizumessen ist.
Ein solcher Grundsatz ist im hiesigen Rechtssystem jedoch fremd.
Genauso gut könnte argumentiert werden, dass der Plangeber von einer ausdrücklichen Dokumentation einer nachbarschützenden Wirkung absehen wollte, weil er selbst davon ausging, dass den Festsetzungen aufgrund des gegenseitigen Austauschverhältnisses nachbarschützende Wirkung beizumessen sei.
Es muss also in jedem Fall eine Auslegung der gesamten Planunterlagen erfolgen.
Ein Anhaltspunkt für eine nachbarschützende Wirkung liegt dann vor, wenn die Wirkung der Festsetzung aufgrund der Plankonzeption über das unmittelbare Verhältnis zwischen Bauherren und Nachbarn hinaus geht. Der Inhalt der getroffenen Festsetzungen muss sich also – ähnlich wie bei Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung – über die beiden betroffenen Grundstücke hinaus im weiteren Plangebiet auswirken. Erst dann, wenn der Nachbar nicht nur in seinem unmittelbaren Rechtsverhältnis mit dem Bauherrn, sondern als Teil einer Gruppe mehrerer Grundeigentümer im Plangebiet betroffen ist, spricht dies dafür, dass der jeweiligen Festsetzung nachbarschützende Wirkung beizumessen ist.
Wie immer ist dies letztlich eine Frage des Einzelfalles.
Es bleibt aber jedenfalls dabei, dass die Prüfung, ob einer Festsetzung über das Maß der baulichen Nutzung oder zur überbaubaren Grundstücksfläche nachbarschützende Wirkung zukommt, nicht schon dann beendet ist, wenn der Prozessgegner ausführt, eine solche nachbarschützende Wirkung sei nicht explizit aus den Planunterlagen ersichtlich.
Denn es ist eben auch möglich, dass diese Festsetzungen nachbarschützende Wirkung haben, wenn dies nicht in den Planunterlagen ausdrücklich dokumentiert ist, aber die oben genannten Voraussetzungen vorliegen.