OVG kippt Öffnungsverbot für Einzelhandel

Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat mit Beschluss vom 09.03.2021 das Öffnungsverbot von Ladengeschäften des Einzelhandels vorläufig außer Vollzug gesetzt ( AZ.: 2 B 58/21).

Dabei hat das OVG zunächst ausgeführt, dass die von dem Land verhängten Maßnahmen geeignet sind, die saarländische Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen. Dass zur Erreichung dieses Ziels jede Verhinderung von Kontakten generell „geeignet“ ist, bedarf nach Auffassung des OVG keiner Vertiefung. Darüber hinaus sind aber die Eingriffe, auch nach dem sogenannten Übermaßverbot bezogen auf das genannte Freiheitsgrundrecht, einer Betrachtung hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit und am Maßstab der Ziel-Ergebnis-Relation ihrer Verhältnismäßigkeit zu unterziehen und sie müssen auch zusätzlich dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot genügen.

Diese Voraussetzungen liegen nicht (mehr) vor:

So stellt es einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, dass zahlreiche Einzelhandelsbetriebe von dem Öffnungsverbot ausgenommen sind, so beispielsweise Blumenläden und Buchhandlungen, aber auch allgemein Mischsortimente in SB-Warenhäusern oder Vollsortimentsgeschäften sowie in Discountern und Supermärkten und sonstigen Ladengeschäften. Nach der Auffassung des OVG liegt hier gegenüber kleineren spezialisierten Einzelhändlern wie der Antragstellerin (Einzelhandelsunternehmen für IT-Technik) eine seuchenrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor. Aufgrund der Mischsortimentsklausel werden die kleineren spezialisierten Einzelhändler, die nicht mit einem Warensortiment handeln können, wie z.B. die großen SB-Warenhäuser, Vollsortimenter, Discounter und Supermärkte, ungleich behandelt.

Die Antragstellerin hatte hier geltend gemacht, dass die von ihr vertriebenen IT-Produkte wie Computer, Computerzubehör, Laptops, Drucker, Telefone und Telefonzubehör in großen SB-Warenhäusern angeboten und auch von den Kunden gekauft würden. Dort könnten die Hygienevorschriften jedenfalls nicht besser eingehalten werden als im Einzelhandelsgeschäft der Antragstellerin. Im Gegenteil, man mache insoweit die Erfahrung, dass sich die Menschen in den SB-Warenhäusern und Supermärkten „auf den Füßen stünden“.

Einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz stellt es nach der Auffassung des OVG auch dar, dass bei dem „Einkaufen nach Terminbuchung“ höchstens ein/eine Kunde/Kundin pro 40 m² zugelassen ist, während in anderen privilegierten Geschäftslokalen, etwa in Buchhandlungen und in Blumengeschäften, eine solche strenge Begrenzung nicht existiert.

Darüber hinaus sieht das OVG in den Einschränkungen auch eine Verletzung der Grundrechte der Berufsausübungsfreiheit und des Art. 14 Grundgesetz (Eigentum, Gewerbebetrieb). Denn selbst wenn man berücksichtigt, dass es sich bei dem vom Antragsgegner verfolgten Regelungsziel des Gesundheitsschutzes um sehr gewichtige Belange handelt, erscheint es vor dem Hintergrund der bei Beachtung aller Hygienestandards eingeschränkten Infektionsrisiken zumindest zweifelhaft, ob sich die zur Verhinderung der Weitergabe des SARS-CoV-2-Virus angeordnete Betriebsbeschränkung bei Berücksichtigung der damit verbundenen und mit fortlaufender Dauer gewichtiger zu bewertenden Grundrechtseinschränkungen als ein insgesamt noch verhältnismäßiger Eingriff darstellt. Bei der Öffnung des Ladengeschäfts der Antragstellerin sind keine „Menschenansammlungen“ oder „unnötige“ physisch-soziale Kontakte zu erwarten. Demgegenüber droht aber bei Fortdauer der Schließung ein existenzbedrohender Schaden.

Abschließend weist das OVG darauf hin, dass derzeit eine Überbelastung des Gesundheitssystems nicht zu erwarten ist. Die Berichte des Gesundheitsministeriums zeigen, dass die Situation weder bei den aktuell vorgehaltenen Betten zur Intensivbehandlung noch bei den Betten mit Beatmungsmöglichkeit derzeit ein Erreichen der Belastungsgrenze nahelegt.

Aus meiner Sicht ist der Beschluss sehr eingehend begründet und befasst sich – wohltuend kritisch – mit häufig sehr einseitig zur Rechtfertigung des Lockdowns unkritisch übernommener Schlagwörter.

Ergänzend ist hierzu noch auszuführen, dass ein alleiniges Abstellen auf den Inzidenzwert in die Irre führt. Denn der Inzidenzwert leitet sich ausschließlich aus dem Vorhandensein positiver Testergebnisse ab. Es ist logisch, dass der Inzidenzwert steigt, wenn – wie es nunmehr überall in Deutschland festzustellen ist – zu sehr viel häufigeren Tests kommt. Steigt die Anzahl der positiven Tests, steigt automatisch auch der Inzidenzwert.

Wenn also zwei gleich große Städte X und Y mit 80.000 Einwohnern z.B eine Zahl von 1% Infizierten aufweisen, sind dies jeweils 800 Infizierte.

Hat Stadt X vorher 8000 Personen getestet, hat diese Stadt 80 Infizierte gefunden, somit eine Inzidenz von 100 (80 x 100000/80000).

Hat Stadt Y nur 3000 Personen getestet, findet sie auch nur 30 Infizierte, hat also eine Inzidenz von 37,5 (30 x 100000/80000).

Stadt Y dürfte also den Einzelhandel öffnen, in Stadt X wäre alles zu, bei identischer Infektionshäufigkeit. Ein absurdes Ergebnis.

Richtigerweise müssten die Anzahl der positiven Ergebnisse ins Verhältnis zur Anzahl der Tests gesetzt werden.

Wolfgang Baur Rechtsanwalt