Glatteissturz eine Stunde nach Ende der Streupflicht – rechtliche Einordnung

Das Oberlandesgericht Koblenz hatte in einem Berufungsverfahren über einen typischen Glatteisunfall zu entscheiden (OLG Koblenz, Beschluss vom 13.02.2015, 3 U 1261/14). Die Besonderheit des Falles lag darin, dass der Verletzte nicht innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. Sondern ca. eine Stunde nach dem Ende der Streupflicht des Streupflichtigen. Er stellte sich deswegen die Frage, ob auch eine Stunde nach Ende der Streupflicht noch der Anscheinsbeweis für den Verletzten gilt, wonach bei Nichtdurchführung der Streupflicht anzunehmen ist, dass der Verletzte nur deswegen gestürzt ist, da nicht gestreut wurde.

Das Oberlandesgericht Koblenz hat einen solchen Anscheinsbeweis allerdings verneint. Nach der Begründung des Oberlandesgerichts Koblenz können die Regeln über den Anscheinsbeweis keine Anwendung finden, wenn der Sturz auf dem Glatteis erst nach dem Ende der Streupflicht eingetreten ist. Ein solcher Sachverhalt entspricht dann nicht mehr einem typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Seine Rechtsansicht stützt das OLG Koblenz auf eine Entscheidung des BGH vom 04.10.1983 (VersR 1984, 40).

Sofern dem Verletzten die Beweiserleichterungen des Anscheinsbeweises nicht zugestanden werden, hat er ggf. mit Hilfe von Indizien einen Beweis zu erbringen, dass ein Streuen vor dem Ende der Streupflicht dazu geführt hätte, dass auch nach dem Ende der Streupflicht der Unfall sich nicht oder jedenfalls nicht in der geschehenen Weise ereignet hätte. Diese Darlegungs- und Beweislast für den Verletzten stellt in der Praxis eine erhebliche Hürde dar.

Im Gegenzug soll die Streupflicht und die Kontrolle und Beherrschung der Glatteisgefahr durch den Streupflichtigen nicht überspannt werden, damit die Pflicht des Streupflichtigen, sich über den Zustand des Gehwegs und die Wetterverhältnisse zu vergewissern, nur zeitlich befristet ist.

In der Praxis der Verkehrssicherungspflichtverletzungen gibt es insbesondere bei Glatteisunfällen in Verbindung mit der Räum- und Streupflicht viele Problemfelder hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast des Verletzten. Aufgrund der vielfältigen Problemstellungen sollte bereits kurz nach dem Unfallereignis sachkundiger Rechtsrat bei einem auf das Schadensrecht spezialisierten Rechtsanwalt bzw. einem Fachanwalt für Verkehrsrecht eingeholt werden.

Markus Kern Rechtsanwalt